Empfehlungen des 63. Deutschen Verkehrsgerichtstages Teil 1

Seit 1963 findet in Goslar alljährlich der Deutsche Verkehrsgerichtstag statt, Ende Januar 2025 zum 63. Mal. Bis zu 2000 Teilnehmende kommen zusammen, um über aktuelle verkehrspolitische und rechtliche Probleme zu diskutieren. Verkehrsjuristen, wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte oder Richterinnen und Richter nehmen genauso teil wie Polizistinnen und Polizisten, Personen mit Expertise für Fahrzeugtechnik, aus Fahrschulen und der Politik. Viele Personen aus Lehre, Praxis und Forschung finden sich zusammen um sich mit verkehrsrechtlichen Themen, der aktuellen Rechtsprechung und Gesetzeslage auseinanderzusetzen. In acht Arbeitskreisen werden aktuelle Themen diskutiert. Am Ende werden Empfehlungen ausgesprochen. Diese Empfehlungen richteten sich an den aktuellen Gesetzgeber. Im Folgenden werden die besprochenen Themen und die mehrheitlich beschlossenen Empfehlungen näher dargestellt.

Arbeitskreis I Cannabis-Missbrauch im Straßenverkehr

Im Jahr 2024 trat das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG) in Kraft. Darin werden im Wesentlichen der Anbau und der kontrollierte Umgang mit Cannabis geregelt. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber das Straßenverkehrsgesetz und weitere straßenverkehrsrechtliche Vorschriften geändert und an die neue Rechtslage angepasst. Danach gilt nun im Straßenverkehr ein gesetzlicher THC-Grenzwert von 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blutserum, wogegen dieser vorher bei 1 ng/ml lag. THC ist die Abkürzung für Tetrahydrocannabiol, einer in Cannabis enthaltenen psychoaktiven Substanz. Wer also bei einer Verkehrskontrolle THC im Blut hat, bleibt straffrei, soweit dieser Grenzwert nicht überschritten wird. Allerdings gilt für junge Fahrerinnen und Fahrer vor Vollendung des 21. Lebensjahres ein absolutes Cannabisverbot am Steuer. Genauso wie für diese Personen auch ein absolutes Alkoholverbot gilt.

Aufgrund der Neuregelungen konnte sich zu dieser Problematik natürlich noch keine gefestigte Rechtsprechung etablieren. Mit der neuen gesetzlichen Regelung müssen nicht nur die Staatsanwaltschaften und die Gerichte umgehen. Auch die Fahrerlaubnisbehörden, welche die Fahreignung von Verkehrsteilnehmern überwachen, müssen die geänderte Gesetzeslage anwenden können. Wie immer in solchen Situationen gibt es Unklarheiten und Gesetzeslücken, von denen auch die Arbeit der Polizei und der Begutachtungsstellen für Fahreignung, welche die Medizinisch-Psychologischen Untersuchungen (MPU- auch Idiotentest genannt) abhängt.

Die Erhöhung des THC-Grenzwertes birgt Gefahren für die Verkehrssicherheit und führt zu Anwendungsproblemen von Gerichten, Polizei, Fahrerlaubnisbehörden und Gutachtern.

Aus diesem Grund hat der Arbeitskreis die folgenden sieben Empfehlungen mehrheitlich beschlossen:

  1. Der Gesetzgeber sollte dringend eine klare gesetzliche Regelung für den kombinierten Konsum von Cannabis – einschließlich medizinischem Cannabis – und Alkohol im Straßenverkehr etablieren. Analog zu den Bestimmungen für Fahranfänger schlägt der Arbeitskreis hierfür eine NulltoleranzRegelung vor. Damit soll den unkalkulierbaren Risiken der Wechselwirkungen beider Substanzen entgegengewirkt werden.
  2. Zusätzlich plädiert der Arbeitskreis dafür, diese Form des Mischkonsums aufgrund der unvorhersehbaren Gefahren und Wechselwirkungen explizit in die Anlage 4 der Fahr­erlaubnis­ver­ordnung aufzunehmen.
  3. Des Weiteren empfiehlt das Gremium die Begutachtungsleitlinien zu Cannabis an den aktuellen wissenschaftlichen Standard anzupassen, um die gesellschaftliche Realität des Freizeitkonsums darin angemessen abzubilden. Parallel dazu fordert der Arbeitskreis den Gesetzgeber auf, die Entwicklung praxistauglicher Vortests voranzutreiben, um hinsichtlich der verschiedenen Grenzwerte einen Verdacht auch schnell ausschließen zu können.
  4. Der Arbeitskreis schlägt vor, bei Ersttätern von Cannabismissbrauch auszugehen, wenn bestimmte Zusatztatsachen vorliegen. Diese sollen vom Gesetzgeber verbindlich definiert werden.
  5. Der Arbeitskreis fordert den Gesetzgeber mit Nachdruck auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um die Entwicklung von Vortestmöglichkeiten zu fördern, die einen Verdacht hinsichtlich der verschiedenen geltenden Grenzwerte ausschließen können.
  6. Hinsichtlich der der Verkehrssicherheit im Zusammenhang mit Gefahrguttransporten befürwortet der Arbeitskreis ausdrücklich die geplante Einführung einer THC-Nüchternheitspflicht.
  7. Insgesamt spricht sich der Arbeitskreis dafür aus, Aufklärungskampagnen massiv auszuweiten, um über die verkehrsrechtlichen Konsequenzen als auch die Risiken des Cannabiskonsums im Straßenverkehr zu informieren.

Arbeitskreis II MPU-Vorbereitung unter der Lupe

Die Fahrerlaubnisbehörde darf in vielen Fällen, insbesondere nach vorangegangenen Alkoholfahrten oder bei einer Drogenproblematik, nur dann eine Fahrerlaubnis neu erteilen, wenn der Antragsteller vorher eine MPU (Idiotentest) besteht. Erfahrungsgemäß ist eine solche Begutachtung nur dann erfolgreich, wenn vorher eine gründliche und seriöse Vorbereitung absolviert wurde. Im Arbeitskreis stellten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Frage, inwieweit Vorbereitungsangebote eine echte Hilfe darstellen oder nur „Abzocke“ sind. Es stellte sich die Frage nach einem Regulierungsbedarf und der Erfahrungen mit den neuen Kriterien für fahreignungsfördernde Interventionen (FFI-Kriterien).

Nach den Beratungen hat der Arbeitskreis die folgenden Empfehlungen ausgesprochen:

  1. Der Arbeitskreis betont die Bedeutung einer qualifizierten Vorbereitung auf die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) als wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. Das Ziel einer solchen Vorbereitung ist, frühzeitig die Ursachen für vorheriges Fehlverhalten zu erkennen und eine dauerhafte Veränderung der Einstellung und des Verhaltens zu fördern.
  2. Um eine effektive Vorbereitung zu ermöglichen, ist es notwendig, dass die Fahrerlaubnisbehörden betroffene Personen zeitnah und verständlich über die fahrerlaubnisrechtlichen Folgen ihres Handelns informieren. Dies könnte in Form eines Informationsblatts geschehen. Damit die Fahrerlaubnisbehörde frühzeitig auf relevante Fälle reagieren kann, sollte konsequent von den bereits bestehenden gesetzlichen Mitteilungspflichten wie sie zum Beispiel in § 2 Absatz 12 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und Nr. 45 Abs. 1 und 2 der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) enthalten ist.
  3. Zudem wird vorgeschlagen, eine Liste mit seriösen Anbietern von MPU-Vorbereitungskursen zu führen, die bestimmte Qualitätskriterien – die sogenannten FFI-Kriterien – erfüllen. Den Fahrerlaubnisbehörden sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, diese Positivlisten an Betroffene herauszugeben, um eine Orientierungshilfe für geeignete Anbieter zu schaffen.
  4. Der Arbeitskreis zeigt sich besorgt über die steigende Zahl von Täuschungsversuchen und Straftaten im Zusammenhang mit dem Fahrerlaubnisverfahren. Das Gremium sieht hier die Notwendigkeit, Täuschungen und Fälschungen konsequent strafrechtlich zu verfolgen und dabei auch die bestehenden Mitteilungspflichten gezielt zu nutzen.
  5. Um MPU-Gutachten transparenter zu gestalten, sollten Nachweise über Abstinenz und absolvierte Vorbereitungskurse fest in das Gutachten integriert werden. Darüber hinaus wird empfohlen, datenschutzkonforme technische Verfahren zur Überprüfung der Echtheit von Gutachten einzusetzen.

Es bleibt abzuwarten, ob sich der Gesetzgeber mit diesen Empfehlungen auseinandersetzt und Korrekturen an den gesetzlichen Regelungen vornimmt.

In zwei weiteren Artikel stellen wir Ihnen die Ergebnisse aus anderen Arbeitskreisen des 63. Deutsche Verkehrsgerichtstages vor, die sichmit folgenden Themen beschäftigt haben: