Empfehlungen des 63. Deutschen Verkehrsgerichtstages Teil 3

Seit 1963 findet in Goslar alljährlich der Deutsche Verkehrsgerichtstag statt, Ende Januar 2025 zum 63. Mal. Bis zu 2000 Teilnehmende kommen zusammen, um über aktuelle verkehrspolitische und rechtliche Probleme zu diskutieren. Verkehrsjuristen, wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte oder Richterinnen und Richter nehmen genauso teil wie Polizistinnen und Polizisten, Personen mit Expertise für Fahrzeugtechnik, aus Fahrschulen  und der Politik. Viele Personen aus Lehre, Praxis und Forschung finden sich zusammen um sich mit verkehrsrechtlichen Themen, der aktuellen Rechtsprechung und Gesetzeslage auseinanderzusetzen. In acht Arbeitskreisen werden aktuelle Themen diskutiert. Am Ende werden Empfehlungen ausgesprochen. Diese Empfehlungen richteten sich an den aktuellen Gesetzgeber. Im Folgenden werden die weiteren besprochenen Themen und die mehrheitlich beschlossenen Empfehlungen näher dargestellt.

Arbeitskreis VI Fußgänger im Straßenverkehr – Opfer oder Täter?

Der Arbeitskreis befasste sich mit der Rolle von Fußgängerinnen und Fußgängern als besonders vulnerable Gruppe im Straßenverkehr. Weiterhin mit der Frage, wie Unfälle mit diesen vermieden werden können. Leider ist die Zahl der Verkehrsunfälle mit verletzten Fußgängerinnen und Fußgängern seit einiger Zeit wieder angestiegen.

Der Arbeitskreis diskutierte darüber, wer Unfälle mit Fußgängern verursacht und wie sie vermieden werden können. Zuletzt auch, ob die bestehenden Regeln noch passend und verständlich sind. Weiterhin befasste man sich mit der Frage, ob die Sicherheit durch Infrastruktur, Sanktionen und Prävention verbessert werden kann.

Die Empfehlungen dieses Arbeitskreises lauten:

Der Arbeitskreis VI unterstreicht die Notwendigkeit, den Fußverkehr als gleichberechtigte Verkehrsart anzuerkennen und dessen Attraktivität zu steigern. Ein zentrales Anliegen ist dabei die Reduzierung der Anzahl von Fußgängerunfällen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind umfassende Maßnahmen erforderlich.

Im Bereich der Infrastruktur und Stadtplanung ist die Bereitstellung adäquater Flächen für den Fußverkehr sowie die Errichtung durchgängiger und barrierefreier Fußwegenetze von zentraler Bedeutung. Diese sollen einen sicheren und intuitiv erfassbaren Verkehrsraum schaffen. Ein offensichtlicher Bedarf besteht darin, sichere Querungsmöglichkeiten zu schaffen, während das Parken an Querungsstellen und in Sichtfeldern konsequent unterbunden werden soll. Um Konflikte zwischen Fußgängern und Radfahrern zu vermeiden, ist eine klare Trennung von Fuß- und Radwegen, insbesondere in innerstädtischen Bereichen, anzustreben. Fußgängerzonen sollten zudem primär dem Fußverkehr vorbehalten und nicht für andere Verkehrsteilnehmer freigegeben werden. Im Bereich der Lichtsignalanlagen sind längere Querungszeiten und getrennte Grünphasen für Fußgänger und den Abbiegeverkehr von großer Bedeutung.

Im Bereich Fahrzeugtechnik ist die stetige Weiterentwicklung und verpflichtende Anwendung von Assistenz- und Schutzsystemen in Kraftfahrzeugen ein wichtiges Thema. Hierzu zählen beispielsweise Systeme, die Fußgänger erkennen und selbstständig eine Bremsung einleiten können. Um die Einhaltung der Verkehrsregeln zu gewährleisten, sind sowohl die Kontrolldichte als auch das Sanktionsniveau zu erhöhen und Regelverstöße konsequent zu ahnden.

Der Arbeitskreis erkennt die bisherigen Anstrengungen von Bund und Ländern an, den Kommunen im Straßenverkehrsrecht mehr Entscheidungsfreiheit einzuräumen. Allerdings sieht er weiterhin Handlungsbedarf und fordert die Bundesregierung auf, diesen Spielraum auch auf präventive Maßnahmen zur Verkehrssicherheit auszuweiten – insbesondere im Bereich der Geschwindigkeitsbegrenzungen. In diesem Zusammenhang sollte die Regelung zum besonderen Gefährdungsnachweis in § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO überarbeitet werden. Zudem wird angeregt, die Vorrangregelungen für den Fußverkehr in § 9 Abs. 3 Satz 3 StVO zu präzisieren und dessen Bedeutung im Straßenverkehr zu stärken. Um die Förderung des Fußverkehrs voranzutreiben, sollte die bestehende Fußverkehrsstrategie in einen umfassenden nationalen Fußverkehrsplan überführt werden.

Schließlich erachtet es der Arbeitskreis als unerlässlich, die Regelkenntnisse und das Regelverständnis aller Verkehrsteilnehmer zu erhöhen, um die Sicherheit des Fußverkehrs nachhaltig zu verbessern. Hierzu sollen geeignete Kampagnen durchgeführt und die haupt- und ehrenamtliche Präventionsarbeit gefördert werden.

Arbeitskreis VII Fahrtüchtigkeitstest der Polizei

Die Überprüfung der Verkehrstüchtigkeit von Fahrzeugführern durch die Polizei leistet einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. Aufgrund der steigenden Tendenz bei Verkehrsunfällen unter Alkohol oder Drogeneinfluss und der Cannabislegalisierung ist die Durchführung entsprechender Verkehrskontrollen wichtiger denn je. Wird von der Polizei eine rauschmittelbedingte Verhaltensauffälligkeit festgestellt, kann sich die rechtliche Einordnung dieses Verhaltens, insbesondere bei Drogendelikten, als schwierig darstellen. Die Polizei nutzt aber auch bei älteren Menschen zunehmend sogenannte neurologisch-physiologische Testverfahren. Diese Tests werden auch als „standardisierte Fahrtüchtigkeitstests (SFT)“ bezeichnet. Obwohl die Überprüfung der Fahreignung und die Feststellung von Fahreignungsmängeln ausschließlich der zu ständigen Fahrerlaubnisbehörde obliegt, wendet die Polizei mittlerweile diese Testverfahren an, um etwaige Fahreignungsmängel festzustellen. Möglicherweise überschreitet die Polizei damit ihren Kompetenzbereich.

Der Arbeitskreis beschäftigte sich daher mit dem Spannungsfeld zwischen Fahrsicherheit und Fahreignung, darüber hinaus mit der Frage, wann eine anlasslose Überprüfung der Fahrtüchtigkeit möglich ist und, ob die Polizei auch medizinische Untersuchungen durchführen kann. Letztlich beschäftigte er sich mit dem Spannungsfeld zwischen Strafprozessrecht und Polizeirecht.

Folgende Empfehlungen wurden beschlossen:

Der Arbeitskreis bewertet polizeiliche Verfahren zur Überprüfung der Fahrtauglichkeit als zentrales Mittel, um mögliche Beeinträchtigungen von Kraftfahrern zuverlässig identifizieren zu können. Um die Effektivität dieser Maßnahmen zu stärken, werden konkrete Maßnahmen wie folgt vorgeschlagen.

  1. Zunächst bedarf es nach Auffassung des Arbeitskreises spezialisierter Schulungsprogramme für Polizeikräfte, die die Durchführung und Interpretation solcher Tests betreffen. Hierzu sollen interdisziplinäre Expertenteams (Verkehrsmediziner, Toxikologen, Psychologen und Verkehrsrechtsexperten) die Ausbildungsinhalte einbezogen werden.
  2. Parallel dazu ist ein kontinuierlicher Qualitätserhalt durch jährliche Fortbildungen und regelmäßige Wissensüberprüfungen der Beamten unverzichtbar, um langfristig hohe Standards zu sichern.
  3. Die derzeit genutzten Testverfahren müssen hinsichtlich ihrer Aussagekraft zur Fahrtüchtigkeit nach wissenschaftlichen Standards kritisch evaluiert und gegebenenfalls angepasst werden.
  4. Ergänzend ist eine bundesweit einheitliche Praxis bei der Durchführung und Protokollierung der Tests zu etablieren.
  5. Auch Staatsanwaltschaften, Gerichte und Fahrerlaubnisbehörden sollen gezielt über die Anwendung der polizeilichen Verfahren informiert werden.

Der Arbeitskreis unterstreicht jedoch, dass solche Fahrtüchtigkeitstests keinesfalls anlasslos eingesetzt werden dürfen. Voraussetzung ist stets eine nachvollziehbare Verdachtslage. Betroffene müssen vor einer Testdurchführung eindeutig und verständlich über ihr freiwilliges Mitwirkungsrecht aufgeklärt werden. Kritisch sieht das Gremium zudem die Praxis, Führerscheine ohne konkreten Tatverdacht vorläufig einzuziehen.

Arbeitskreis VIII aktuelle Probleme bei Fahrgastrechten im Schienenersatzverkehr

Streckensperrungen bei der Bahn, Bauarbeiten und wetterbedingte Störungen führen zu immer mehr Schienenersatzverkehr. Statt eines Zuges muss der Reisende einen Bus benutzen. Während Fahrgastrechte für Bahnreisende geregelt sind, ist es fraglich, ob man diese Regelungen auch dann anwenden kann, wenn der Reisende unfreiwillig im Bus sitzt. Der Arbeitskreis widmete sich der Frage, ob die geltende Rechtslage der Problemlage gerecht wird und wo sich Lücken zeigen.

So diskutierte man die Fragen, wer und in welchem Umfang die Fahrgäste informieren muss, welches der beteiligten Verkehrsunternehmen gegenüber den Fahrgästen verantwortlich ist und welches Recht Anwendung findet.

Die Empfehlungen des Arbeitskreises lauten wie folgt:

Der Arbeitskreis ist sich der zunehmenden praktischen wie juristischen Bedeutung des Schienenersatzverkehrs bewusst, der angesichts der aktuellen Bautätigkeit und Streckensperrungen im deutschen Schienennetz immer wichtiger wird. Daher empfiehlt der Arbeitskreis, die Fahrgastrechte im Schienenersatzverkehr gesondert und im Zusammenhang mit den Fahrgastrechten für den Eisenbahnverkehr zu regeln, da die bestehenden allgemeinen Bestimmungen der EU-Fahrgastrechteverordnung dieser besonderen Situation nicht vollständig gerecht werden.

  1. Ein zentraler Punkt ist die rechtliche Definition des Begriffs „Schienenersatzverkehr“, um Klarheit und Rechtssicherheit zu schaffen.
  2. Grundsätzlich sollen im Schienenersatzverkehr die gleichen Fahrgastrechte wie im Eisenbahnverkehr gemäß der EU-Fahrgastrechteverordnung 2021/782 gelten. Für die notwendige kurzfristige Einrichtung eines Schienenersatzverkehrs sollten dabei jedoch Ausnahmen vorgesehen werden.
  3. Die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Schienenersatzverkehrs soll beim Eisenbahnverkehrsunternehmen liegen, das gleichzeitig auch der zuständige Ansprechpartner für die Fahrgäste sein soll.
  4. Gleichzeitig ist es wichtig, die Verantwortlichkeiten anderer Beteiligter, wie etwa der ausführenden Unternehmen, klar zu regeln.

Bei der Organisation des Schienenersatzverkehrs ist eine enge Zusammenarbeit der beteiligten Akteure (Eisenbahnverkehrsunternehmen, Aufgabenträger im öffentlichen Verkehr, Eisenbahninfrastrukturbetreiber, die ausführenden Unternehmen und die betroffenen Kommunen) von entscheidender Bedeutung. Dabei sind die Verkehrssicherheit und die Barrierefreiheit besonders zu berücksichtigen. Der Arbeitskreis empfiehlt, diese Kooperation gesetzlich verpflichtend zu machen.

Es bleibt abzuwarten, ob sich der Gesetzgeber mit diesen Empfehlungen auseinandersetzt und Korrekturen an den gesetzlichen Regelungen vornimmt.

In zwei weiteren Artikel stellen wir Ihnen die Ergebnisse aus anderen Arbeitskreisen des 63. Deutsche Verkehrsgerichtstages vor, die sich mit den folgenden Themen beschäftigt haben: