Seit 1963 findet in Goslar alljährlich der Deutsche Verkehrsgerichtstag statt, Ende Januar 2025 zum 63. Mal. Bis zu 2000 Teilnehmende kommen zusammen um über aktuelle verkehrspolitische und rechtliche Probleme zu diskutieren. Verkehrsjuristen, wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte oder Richterinnen und Richter nehmen genauso teil wie Polizistinnen und Polizisten, Personen mit Expertise für Fahrzeugtechnik, aus Fahrschulen und der Politik. Viele Personen aus Lehre, Praxis und Forschung finden sich zusammen um sich mit verkehrsrechtlichen Themen, der aktuellen Rechtsprechung und Gesetzeslage auseinanderzusetzen. In acht Arbeitskreisen werden aktuelle Themen diskutiert. Am Ende werden Empfehlungen ausgesprochen. Diese Empfehlungen richteten sich an den aktuellen Gesetzgeber. Im Folgenden werden die weiteren besprochenen Themen und die mehrheitlich beschlossenen Empfehlungen näher dargestellt.
Arbeitskreis III Hinterbliebenengeld und Schockschaden
Im Jahr 2017 wurde das sogenannte Hinterbliebenengeld neu in das Gesetz eingefügt. Danach können nahestehende Angehörige von Unfallopfern in Anerkennung ihres seelischen Leids ein eigenes Schmerzensgeld bekommen. Vorher gab es Schadenersatz nur für einen eigenen, unmittelbaren Schaden. Nur bei einem sogenannten Schockschaden, einer besonderen gesundheitlichen Beeinträchtigung, die bei einem Angehörigen in einem solchen Fall auftrat, wurde in Ausnahmefällen eine Entschädigung gezahlt. Das Gesetz legt allerdings keinen festen Betrag fest, vielmehr soll die Höhe angemessen sein, was letztlich nur Gerichte entscheiden können.
Der Arbeitskreis beschäftigte sich mit der Frage, ob sich das Hinterbliebenengeld bewährt hat und ob die Höhen, welche die Gerichte zugesprochen haben, angemessen sind. Man erörterte auch das Verhältnis des Hinterbliebenengeldes zum sogenannten Schockschadenersatz.
Die folgenden Empfehlungen wurden ausgesprochen:
- Der Arbeitskreis stellt fest, dass sich das im Jahr 2017 eingeführte Hinterbliebenengeld prinzipiell bewährt hat und den betroffenen Angehörigen helfen kann, den erlittenen Verlust besser zu verarbeiten.
- Der Arbeitskreis ist der Ansicht, dass für Hinterbliebene, die infolge des Todes einer nahestehenden Person selbst eine schwere psychische Belastung erleiden (Schockschaden), kein zusätzlicher Anspruch auf Hinterbliebenengeld bestehen soll, da das Schmerzensgeld die erlittene seelische Beeinträchtigung bereits abdeckt. Eine doppelte Entschädigung soll somit ausgeschlossen werden.
- Die derzeitige individuelle Bemessung des Hinterbliebenengeldes im Einzelfall wird als passend angesehen. Eine gesetzliche Festlegung fester Beträge hält der Arbeitskreis daher nicht für sinnvoll.
- Als Orientierungshilfe für die Höhe des Hinterbliebenengeldes dient bislang ein Betrag von 10.000 Euro. Dieser Wert wird vom Arbeitskreis als angemessen erachtet
Arbeitskreis IV Die „sieben Todsünden“ des § 315c StGB auf dem Prüfstand
In § 315c des Strafgesetzbuches (StGB) ist die Gefährdung des Straßenverkehrs geregelt. Dort werden sieben als besonders gefahrenträchtig bewertete verkehrswidrige Verhaltensweisen benannt, die bei grob verkehrswidriger und rücksichtsloser Begehung strafbar sind, wenn dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden. Zu diesen als “Todsünden“ benannten Verhaltensweisen gehören unter anderem die Verletzung der Vorfahrt, das Rechtsüberholen oder auch der Geisterfahrer.
Der Arbeitskreis beschäftigte sich mit der Frage, ob diese Regelungen noch auf der Höhe der Zeit sind. Er hat sich auch damit befasst, ob es nicht strafwürdigere unfallträchtige Verhaltensweisen gibt und wann die Strafbarkeit nur vom Zufall abhängt.
Die folgenden Empfehlungen wurden ausgesprochen:
Der Arbeitskreis ist der Ansicht, dass die in § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB aufgeführten Verkehrsverstöße, umgangssprachlich als „sieben Todsünden“ bekannt, nicht mehr das gesamte Spektrum typischer Fehlverhaltensweisen von Fahrzeugführern mit hohem Unfallrisiko abdecken. Um verkehrsgefährdendem Verhalten sinnvoll vorzubeugen, sollen neben verstärkter Präventionsarbeit auch eine höhere Kontrolldichte und modernere Kontrollmethoden eingesetzt werden. Aus diesem Grund empfiehlt der Arbeitskreis eine Anpassung der bestehenden Vorschrift.
Konkret schlägt der Arbeitskreis deshalb vor, weitere grob verkehrswidrige und rücksichtslose Verhaltensweisen, die eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben anderer Personen oder bedeutende Sachwerte darstellen, in den Tatbestand aufzunehmen.
- Dazu sollen neben dem falschen Fahren an Fußgängerüberwegen („Zebrastreifen“) auch das falsche Fahren an durch Lichtzeichenanlagen geregelten Fußgängerfurten gehören, da hier ein vergleichbares Gefährdungspotenzial besteht.
- In gleicher Weise sollte die Missachtung des Vorrangs von Fußgängern beim Abbiegen als ein relevanter Verkehrsverstoß einbezogen werden.
- Um den besonderen Gefahrensituationen an Baustellen, Arbeitsstellen, Unfallstellen oder liegengebliebenen Fahrzeugen Rechnung zu tragen, sollte auch das falsche Fahren in diesen Bereichen berücksichtigt werden.
- Ebenso sollte die Nutzung von elektronischen Geräten die zur Kommunikation, Information oder Organisation dienen, aufgenommen werden.
- Der Arbeitskreis plädiert darüber hinaus für die Abschaffung von § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g StGB. Die darin beschriebene Kenntlichmachung haltender oder liegen gebliebener Fahrzeuge wird angesichts der geringen Unfallhäufigkeit, die darauf zurückzuführen ist, nicht länger als strafwürdig erachtet.
Arbeitskreis V Kfz-Schadensgutachten: Gut ist nicht gut genug!
Um den entstandenen Schaden nach einem Verkehrsunfall genau beziffern zu können, bedarf es sehr häufig eines Sachverständigen. Dieser muss dann die zu erwartenden notwendigen Reparaturkosten feststellen. Im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens muss der Sachverständige den Wiederbeschaffungswert ermitteln. Das ist der Betrag, welcher ein Unfallopfer aufwenden muss, um sich auf dem seriösen Gebrauchtwagenmarkt ein gleichwertiges Fahrzeug kaufen zu können. Gleichzeitig muss der Sachverständige auch den Restwert ermitteln. Das ist der Betrag, welcher den Wert des verbliebenen und beschädigten Fahrzeuges abbildet. Ohne diese Werte lassen sich Schadenersatzansprüche weder beziffern noch beim gegnerischen Versicherer geltend machen. Leider gibt es für Kfz-Sachverständige bisher kein Berufsbild. Mit diesem fehlenden Berufsbild beschäftigte sich der Deutsche Verkehrsgerichtstag und alle, die mit Verkehrsunfällen und mit Sachverständigen zu tun haben, seit Jahrzehnten. Nunmehr soll jedoch die neue Richtlinie 5900 MT des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) zum Berufsbild des Kfz-Sachverständigen in Kraft treten.
Der Arbeitskreis beschäftigte sich mit dieser neuen Richtlinie und deren Auswirkungen auf die Schadenregulierung und die Rechtsprechung. Gleichzeitig wurde die Qualität der Gutachten auf den Prüfstand gestellt.
Die Empfehlungen des Arbeitskreises lauten:
- Angesichts der jährlichen Schadenssumme von über 30 Milliarden Euro im Fahrzeugbereich und der zunehmenden Komplexität moderner Fahrzeuge ist der Arbeitskreis der festen Überzeugung, dass eine hohe Qualität der Schadenfeststellung unter Berücksichtigungder Verkehrssicherheit und des Verbraucherschutzes unerlässlich ist.
- Um dies zu gewährleisten, bekräftigt der Arbeitskreis seine bereits auf vorherigen Verkehrsgerichtstagen geäußerte Forderung an den Gesetzgeber, eine Berufsordnung für Sachverständige im Kraftfahrwesen und Straßenverkehr zu schaffen, die insbesondere die Bereiche Fahrzeugschäden und -bewertung abdeckt.
- Eine geeignete Grundlage für die Aus- und Weiterbildung von Sachverständigen sowie für die Gesetzgebung sieht der Arbeitskreis in der Richtlinie VDI-MT 5900 Blatt 2. Diese definiert allgemein anerkannte Mindestanforderungen an die Ausbildung, Qualifikation und Berufsausübung von Sachverständigen für Kfz-Schäden und -Bewertung. Daher fordert der Arbeitskreis den Gesetzgeber auf, die Richtlinie VDI-MT 5900 bei der anstehenden Novellierung des Kraftfahrsachverständigengesetzes zu berücksichtigen.
Es bleibt abzuwarten, ob sich der Gesetzgeber mit diesen Empfehlungen auseinandersetzt und Korrekturen an den gesetzlichen Regelungen vornimmt.
In zwei weiteren Artikel stellen wir Ihnen die Ergebnisse aus anderen Arbeitskreisen des 63. Deutsche Verkehrsgerichtstages vor, die sich mit den folgenden Themen beschäftigt haben: